vom 9. Juli 2017
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Liebe Freunde der Tiere,
nachfolgend ein neuer Text von Dr. Karim Akerma (www.akerma.de):
Fleischkauf ist böse!
Der
Erwerb eines Stücks Fleisch ist eine böse Tat! Ist dieses krude Urteil
gerechtfertigt? Um diese Auffassung ungerechtfertigt scheinen zu lassen,
konstruiert man eine Legende, die in mehreren Spielarten verbreitet
ist. Eine Variante dieser Legende besteht aus folgenden Einzelteilen:
1
Menschen waren schon immer Fleischesser. Dann kamen die Religionen,
das Judentum, das verkirchlichte Christentum und der Islam, die den
Fleischkonsum damit rechtfertigten, dass sie die Schöpfung dem Menschen
zur Vernutzung übergaben. Die Menschen mussten nun jahrhundertelang glauben, dass dem so ist.
2
Der französische Philosoph René Descartes (1599–1650) wollte nicht nur glauben, sondern auch wissen.
Er dachte nach und sagte: Tiere können keine Schmerzen empfinden, da
sie im Unterschied zu Menschen über keine empfindungsfähige Seele
verfügen. Alle Welt wusste nun, dass Tiere Automaten
sind, denen nicht geschadet werden kann. Im 20. Jahrhundert fand man für
die Tier-Automaten die passende – nämlich fließbandmäßige –
Schlachtmethode. Niemand ahnte etwas.
3
Endlich erschien im Jahr 1975 Peter Singer mit seinem Buch ANIMAL LIBERATION und dem Begriff „Speziesismus“.
Erstmals konnte Menschen klar werden, dass der Konsum von Fleisch
fragwürdig ist und dass wir fühlende Fische, Hühner, Schweine, Kühe usw.
nicht allein deswegen miserabel behandeln dürfen, weil sie einer
anderen Spezies angehören. Als Steigerung des Vegetarismus tauchten die
ersten Veganer auf.
4
Seitdem
gibt es eine langsam aber stetig wachsende vegetarische Bewegung.
Allerdings darf das oberste Ziel dieser Bewegung nicht darin bestehen,
fleischessende Menschen zu „missionieren“. Denn das Wissen, dass
Menschen auf Fleisch verzichten können, ohne krank zu werden ist ja ganz
neu. Um niemanden vor den Kopf zu stoßen, muss man dieses Wissen in
mundgerechten kleinen Häppchen verabreichen. Woher hätte die Masse aller
Menschen auch wissen sollen, dass es ohne Fleisch geht? Weil wir
vegetarisch in den Anfängen stecken, dürfen wir nicht moralisieren.
Schon gar nicht dürfen wir unsere ethischen Argumente gegen den
Fleischkonsum bei Tisch auf den Tisch legen. Man empfiehlt uns,
gemeinsam – aber schweigend – mit den Fleischessern an der
fleischlastigen Tafel zu sitzen, um ihnen durch das, was wir mit der
Gabel zum Munde führen, wortlos zu denken zu geben. Sobald ein
Fleischesser sagt: „Ich mag es nicht, wenn man mich belehrt,“ ist
Schweigen geboten und man hat sich in stiller Vorbildlichkeit zu üben.
Bitte kein Moralisieren!
ENDE DER LEGENDE
So
oder ähnlich wie in den Punkten 1-4 rekonstruiert, steht es in
zahlreichen aktuelleren Vegetarismus-Artikel in Zeitungen und
Zeitschriften zu lesen. Freilich sieht die Wahrheit etwas anders aus.
Beginnen
wir beim WISSEN. Beispielsweise für Descartes‘ Zeitgenossen Pierre
Gassendi (1592–1655) stellte sich die Wahrheit über den Fleischkonsum
ganz anders dar. Gassendi übernahm nicht, was Descartes zu wissen
glaubte. Über die von ihm selbst praktizierte Gastfreundschaft äußert
Gassendi, seine Gäste hätten mit dem Vorlieb zu nehmen, was sein Garten
hervorbringt. Schon zu Descartes‘ Zeiten gab es demnach Vegetarier.
Ferner sagt Gassendi nicht nur: Zeigt her eure Zähne und ich sage euch,
dass ihr keine Fleischfresser seid! Weit über das Zahnargument
hinausgehend kann Gassendi auf provegetarische Argumente verweisen, die
tief in der Vergangenheit wurzeln und schon von Epikur (341-270) und
Plutarch (45–120) begründet wurden.
Schauen
wir einmal nach, was Plutarch in seinen Traktaten vom Fleischessen
schrieb, worin er auf den noch viel älteren Pythagoras verweist:
„Möchtest
Du wirklich wissen, warum Pythagoras kein Fleisch essen wollte? Ich
frage mich vielmehr, in welcher Lage und in welcher Gemüts- und
Verstandesverfassung ein Mensch zum ersten Mal mit dem Mund das Mordblut
berührte, mit seinen Lippen das Fleisch eines toten Wesens anfasste,
tote und abgestandene Körper auftischte und die Teile als Zukost und
Nahrung bezeichnete, die kurz zuvor noch brüllten, Geräusche von sich
gaben, sich bewegten und in die Welt schauten. Wie konnte sein
Gesichtssinn den blutigen Anblick geschlachteter, gehäuteter und
zerstückelter Wesen ertragen, wie konnte sein Geruchssinn den Gestank
aushalten, wie war es möglich, dass die Besudelung seinen Geschmackssinn
nicht davon abhielt, fremde Wunden zu berühren und Säfte und
Flüssigkeiten aus todbringenden Verletzungen zu ziehen? […] Ihr aber,
welche Wut und welcher Stachel treibt euch, die ihr jetzt lebt, zum
blutigen Mord, da ihr doch so viel Lebensmittel im Überfluss habt? Warum
verleumdet ihr die Erde, also ob sie nicht in der Lage wäre, euch zu
ernähren? […] Die einen arbeiten bei der Quälerei von Schweinen mit
glühenden Spießen, damit durch das Eintauchen des Eisens das Blut
gedämpft wird, das, durch den Körper fließend, das Fleisch zwar und
weich machen soll.“
Menschen durften also keineswegs allzeit davon ausgehen, dass das Fleischessen ethisch einwandfrei oder gar geboten ist. Sie wussten es teilweise schon in der vielbewunderten Antike besser. Und wenn wir annehmen, dass bereits die Pythagoreer und die Anhänger der religiösen Strömung der Orphiker im 6. Jahrhundert vor der Zeitrechnung Vegetarier waren, dann ist die vegetarische Überlieferung uralt.
Wenn einem etwas gut passt, dann ist/isst man gern von/mit geradezu kindlicher Naivität. Man schiebt der Kirche oder Descartes die Schuld in die ledernen Schuhe, wiewohl es zu allen Zeiten Menschen gab, die es besser glaubten und besser wussten. Ein Blick in die Renaissance: In der Renaissance nicht allein der im Diesseits lebende Mensch aufgewertet, sondern öfters auch das Tier: Leonardo da Vinci (1452–1519) nutzte den eigenen Verstand und kritisierte die Gefräßigkeit, die Menschen veranlasst, zum Grab für die Tiere zu werden. Zugespitzt ließe sich sagen: Wahrer Humanismus ist immer auch ein Vegetarismus.
Unserer Fleischlegende zufolge (siehe oben Punkt 1–4) erschien im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts Peter Singers Buch Animal Liberation, an das sich eine vegetarische Bewegung hängte. Auch hier sieht die Wahrheit ganz anders aus. Schon im Jahr 1942 schrieb der Tierrechtler Magnus Schwantje (1877–1959): „Seit mehr als 100 Jahren versuchen auch Vereine von Vegetariern, die Menschheit von der Verwerflichkeit des Fleischessens zu überzeugen.“ Wohlgemerkt spricht Schwantje hier nur von Vereinen, nicht von der sehr viel älteren vegetarischen Ethik. Zwar verwendet der unermüdlich für eine vegetarische Ernährung werbende Schwantje noch nicht das erstmals 1970 von Richard Ryder gebrauchte Wort Speziesismus. Doch argumentiert Schwantje bereits mit dem Gehalt dieses Begriffs: „Ob es Menschen oder Tiere sind, denen ein Schaden bereitet, oder von denen ein Schaden abgewendet wird, das muss für die moralische und rechtliche Beurteilung der Handlung ganz gleichgültig sein.“ Man musste nicht auf das Erscheinen des Wortes „Speziesismus“ warten, um die Richtigkeit von Schwantjes Worten unterschreiben zu können.
Und wie steht es nun um den Veganismus, also die Ablehnung aller tierischen Produkte und insbesondere um die Einsicht in die Verwerflichkeit von Leder? Ist nicht wenigstens dies eine Forderung, die überhaupt erst gedacht werden konnte, nachdem es synthetische Ersatzmaterialien gab? Auch dieser bequemen Hoffnung machte u.a. bereits Schwantje einen Strich durch die ethische Milchmädchen-Rechnung, indem er schreibt: „Einige Leser scheinen zu glauben, dass ich nicht die gänzliche Abschaffung der Benutzung von Leder, Milch, Eiern und andern tierischen Stoffen wünschte.“ Schwantje erläutert: Nur in seiner Zeit sei es so, dass der Verzicht auf Lederprodukte die Zahl der ohnedies zum Verzehr getöteten Tiere nicht verringern würde. Schwantje sah voraus, dass sich dies ändern würde. Heute wird Europa mit dem Leder von Kühen beliefert, die elendig und oftmals unkundig etwa in Bangladesch massakriert werden.
Menschen durften also keineswegs allzeit davon ausgehen, dass das Fleischessen ethisch einwandfrei oder gar geboten ist. Sie wussten es teilweise schon in der vielbewunderten Antike besser. Und wenn wir annehmen, dass bereits die Pythagoreer und die Anhänger der religiösen Strömung der Orphiker im 6. Jahrhundert vor der Zeitrechnung Vegetarier waren, dann ist die vegetarische Überlieferung uralt.
Wenn einem etwas gut passt, dann ist/isst man gern von/mit geradezu kindlicher Naivität. Man schiebt der Kirche oder Descartes die Schuld in die ledernen Schuhe, wiewohl es zu allen Zeiten Menschen gab, die es besser glaubten und besser wussten. Ein Blick in die Renaissance: In der Renaissance nicht allein der im Diesseits lebende Mensch aufgewertet, sondern öfters auch das Tier: Leonardo da Vinci (1452–1519) nutzte den eigenen Verstand und kritisierte die Gefräßigkeit, die Menschen veranlasst, zum Grab für die Tiere zu werden. Zugespitzt ließe sich sagen: Wahrer Humanismus ist immer auch ein Vegetarismus.
Unserer Fleischlegende zufolge (siehe oben Punkt 1–4) erschien im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts Peter Singers Buch Animal Liberation, an das sich eine vegetarische Bewegung hängte. Auch hier sieht die Wahrheit ganz anders aus. Schon im Jahr 1942 schrieb der Tierrechtler Magnus Schwantje (1877–1959): „Seit mehr als 100 Jahren versuchen auch Vereine von Vegetariern, die Menschheit von der Verwerflichkeit des Fleischessens zu überzeugen.“ Wohlgemerkt spricht Schwantje hier nur von Vereinen, nicht von der sehr viel älteren vegetarischen Ethik. Zwar verwendet der unermüdlich für eine vegetarische Ernährung werbende Schwantje noch nicht das erstmals 1970 von Richard Ryder gebrauchte Wort Speziesismus. Doch argumentiert Schwantje bereits mit dem Gehalt dieses Begriffs: „Ob es Menschen oder Tiere sind, denen ein Schaden bereitet, oder von denen ein Schaden abgewendet wird, das muss für die moralische und rechtliche Beurteilung der Handlung ganz gleichgültig sein.“ Man musste nicht auf das Erscheinen des Wortes „Speziesismus“ warten, um die Richtigkeit von Schwantjes Worten unterschreiben zu können.
Und wie steht es nun um den Veganismus, also die Ablehnung aller tierischen Produkte und insbesondere um die Einsicht in die Verwerflichkeit von Leder? Ist nicht wenigstens dies eine Forderung, die überhaupt erst gedacht werden konnte, nachdem es synthetische Ersatzmaterialien gab? Auch dieser bequemen Hoffnung machte u.a. bereits Schwantje einen Strich durch die ethische Milchmädchen-Rechnung, indem er schreibt: „Einige Leser scheinen zu glauben, dass ich nicht die gänzliche Abschaffung der Benutzung von Leder, Milch, Eiern und andern tierischen Stoffen wünschte.“ Schwantje erläutert: Nur in seiner Zeit sei es so, dass der Verzicht auf Lederprodukte die Zahl der ohnedies zum Verzehr getöteten Tiere nicht verringern würde. Schwantje sah voraus, dass sich dies ändern würde. Heute wird Europa mit dem Leder von Kühen beliefert, die elendig und oftmals unkundig etwa in Bangladesch massakriert werden.
Gern
wird entschuldigend gesagt, fleischkritische Texte hätten einfach
keinen Eingang in die „herrschenden Diskurse“ der Zeit gefunden. Für uns
stellt es sich anders dar: Die Fleischkritik wurde immer schon
wahrgenommen, aber sie wurde und wird ignoriert. Auch und gerade von den
Konsumenten ignoriert. Ebenso, wie man heute das fast allgegenwärtige
Anschauungsmaterial ignoriert, das uns wöchentlich aus Zeitungen oder
dem Fernseher heraus visuell attackiert.
Vor
dem Hintergrund des oben Gesagten wiederholen wir: Fleischkauf ist
böse! Er ist eine verwerfliche Tat, da fleischkaufende Personen
unweigerlich bestens über die verwerfliche Mittäterschaft und die
Konsequenzen ihrer Handlung informiert sind (dies ist nach Jahrhunderten
vegetarischer Aufklärung gegeben) und es zugleich Alternativen gibt,
die uns ohne gesundheitliche oder monetäre Einbußen offenstehen.
Vegetarierverbände
scheuen Sätze wie den folgenden, da man Fleischesser „nicht
überfordern“ dürfe, damit sie nicht „blockieren“ – aber es gilt die
Aussage: In Anbetracht jahrhundertelanger vegetarischer Aufklärung sind
heutige Fleischkäufer Komplizen des Bösen. Auf diese Feststellung hin
kommt es unweigerlich zur Rückfrage: „Ja glaubt ihr Vegetarier/Veganer
denn, die besseren Menschen zu sein?“ Die Antwort auf diese Frage:
Nein.
Aufs Ganze aller Taten gesehen kann eine fleischessende Person unter
Umständen moralisch sehr viel besser handeln und damit „besser sein“ als
eine vegetarisch/vegan lebende Person. Die Ernährungsweise ist
schließlich nur ein Ausschnitt aus allen unseren Handlungen und
Unterlassungen. Was aber die Ernährung anbelangt, handelt eine
vegetarische/vegane Person in der Tat besser als eine fleischessende
Person. Und es ist schade, dass es selbst in Vegetarierkreisen als
unschicklich gilt, diese Feststellung zu treffen. Denn welche Person
möchte sich schon nachsagen lassen, Komplizin des Bösen zu sein? Gerade
hierin besteht ein Motiv, das eigene Ernährungshandeln vielleicht doch
noch zu ändern. Auf jeden Fall müssen wir den aktuell vorherrschenden
„Diskurs“ auflösen, in dem es als paradoxerweise als unmoralisch gilt,
Fleischkonsumenten auf den unmoralischen Charakter ihres Fleischkonsums
hinzuweisen.
Wir
sprechen hier vom Fleisch und haben vom Leder weitgehend geschwiegen.
Zum Verhältnis von Fleisch und Leder gilt Folgendes: Wer heute noch
Fleisch kauft, macht sich einer subjektiven Komplizenschaft mit dem
Bösen schuldig. Die Aufklärung über die entsetzlichen Hintergründe der
Lederproduktion steckt aktuell vergleichsweise noch in den
Kinderschuhen. Daher sprechen wir beim Lederkauf von einer objektiven
Komplizenschaft mit dem Bösen. Durch forcierte Aufklärung muss es uns
gelingen, die Schwelle zur subjektiven Komplizenschaft zu überschreiten:
In der Hoffnung dass daraus Verhaltensänderungen resultieren.
Zum Schluss: Wie will man ganz naiv von nichts gewusst haben, wenn schon der vielgerühmte Voltaire (1694–1778)
das Böse beim Namen nannte: „Es ist schließlich nur allzu gewiss, dass
uns dieses abstoßende Gemetzel, wie es unaufhörlich in unseren
Schlächtereien und unseren Küchen vor sich geht, nicht als etwas Böses
erscheint, im Gegenteil, wir betrachten diese oft übelriechende
Entsetzlichkeit als einen Segen des Herrn, und wir haben auch noch
Gebete, in denen wir ihm für diese Mordtaten danken. Was gibt es
indessen Abscheulicheres, als sich fortgesetzt von Leichen zu nähren?“
Zitate von Magnus Schwantje in: ders., Gesammelte Werke Bd. 1, Hirthammer Verlag 1976, S. 43, S. 53, und S. 41.
Zitate von Plutarch in: (Baranzke / Gottwald / Leben. Töten. Essen. Anthropologische Dimensionen, S. Hirzel Verlag 2000, S. 138f und S. 144f).
Zitate von Plutarch in: (Baranzke / Gottwald / Leben. Töten. Essen. Anthropologische Dimensionen, S. Hirzel Verlag 2000, S. 138f und S. 144f).
Herzliche Grüße
für pro iure animalis
Dr. Gunter Bleibohm und Harald Hoos